23. Oktober 2003 Wermelskirchener Generalanzeiger von Andreas Weber

"Kulturerbe ohne ein Manuskript"

Ingrid Reinhardt

Ruhig und konzentriert war sie. Flankiert von brennenden Kerzen zur Linken, einem Gong zur Rechten, gebettet in einem mit gelbem Stoff überworfenen Sessel tauchte Ingrid Reinhardt gestern Nachmittag in der Seniorentagesstätte in die Märchentradition ein. Im Kulturcafé trug die Wuppertalerin ohne Manuskript vor.

Aus dem Kopf zitierte sie die Klassiker um die Gebrüder Grimm, eines Kulturerbes, dessen Symbolsprache Ländergrenzen überschreitet, vielen jüngeren Menschen aber überhaupt nicht mehr geläufig ist. Letztlich waren es aber Kinder, die ihre späte Liebe weckten. In der musikalischen Früherziehung macht Ingrid Reinhardt Einsteiger mit der Blockflöte vertraut. Und weil diese mit spielerischen Elementen verknüpft wird, verfiel die Lehrerin auf das Märchenerzählen.

 Zweijährige Ausbildung in Nürnberg

Die volkstümlichen Schätze gefielen ihr so gut, dass die dreifache Mutter ihr Hobby auf professionellere Füße stellen will. Im Nürnberger Märchenzentrum DornRosen e.V. absolviert sie zurzeit eine zweijährige Ausbildung, die sieben Wochenendseminare, drei Märchenwochen und eine Abschlussprüfung umfasst.

Märchen sind für Ingrid Reinhardt mehr als nur spannende Kurzweil. Märchen sind Spiegelbilder der menschlichen Seele und transportieren Wahrheiten. Aus ihnen lässt sich Kraft schöpfen und Heilung. "Auch in der Psychotherapie werden sie eingesetzt", weiss die gebürtige Kölnerin. Und wenn sie das erste Studium hinter sich hat, überlegt sie, sich bei der Europäischen Märchengesellschaft (EMG) fortzubilden. Die EMG in Rheine pflegt einen eher literatur-wissenschaftlichen Ansatz.

Wer erzählt, braucht Publikum. Und dieses lässt sich durch Abwechslung eher gewinnen. Um ihre Auftritte nicht zu wortlastig werden zu lassen, hat Ingrid Reinhardt eine Partnerin gefunden. In Wermelskirchen ist Martha Löhe, die viele Jahre Kantorin an der evangelischen Stadtkirche war, bekannt. In der Seniorentagesstätte spielte sie auf die Vorträge abgestimmte Stücke auf der Alt-Blockflöte und einer seltenen Barock-Violine. Ihre Zusammenarbeit möchten die beiden auch in Zukunft fortsetzen.

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